Mitgefühl vs. Mitleid- Was ist der Unterschied?

Als junge Krankenschwester kannte ich den kleinen und doch entscheidenden Unterschied noch nicht. Ich begegnete in meinem Berufsalltag viel Leid, nicht nur körperlich, sondern auch seelisch. An so manches Schicksal erinnere ich mich noch heute. Wie die Mutter, die nach einem Schlaganfall im Krankenhaus lag.Ihre zwei Jungen warteten zu Hause nicht nur auf sie, sondern auch auf eine neue Niere. Als Mutter weiß ich, dass man am verletzlichsten ist, wenn die Kinder krank sind. Unvorstellbar, was diese Frau für Kraft hatte. In der Psychologie spricht man von Resilienz. Das ist die psychische Widerstandskraft eines Menschen, mit schwierigen Lebenssituationen umzugehen, wie Schicksalsschlägen, Krankheit oder auch anderen Krisen. 

Ich kann mich noch genau an die Situation erinnern, als ich die Patientin fütterte, denn das Essen ging noch nicht allein. Verständigen konnten wir uns nur ohne Worte. Ich vergesse nicht ihre Augen. Sie leuchteten in einer Wärme, die mein Herz berührte. Ich wusste von ihren Kindern und konnte nur erahnen, was in dieser Mutter vorging. Ich kämpfte mit den Tränen. Dieses und viele andere Schicksale habe ich gedanklich mit nach Hause genommen. Dieses Mitnehmen war aus heutiger Sicht ein „Mitleiden“, denn ich habe im wahrsten Sinne des Wortes den seelischen Schmerz gespürt. Ich war jung und unerfahren. Heute, 30 Jahre später , berühren mich auch noch Schicksale im Herzen, doch es hat sich etwas verändert. Ich sehe Leid und spüre den Schmerz, doch viel kürzer. Ich sehe, anstatt weiter den Schmerz zu fühlen und somit mitzuleiden. So ging es mir auch am 1. Advent. Ich war nach der Flut zum ersten Mal wieder im Ahrtal in Bad Neuenahr.Die Zerstörung durch die Wassermengen haben mich sehr betroffen gemacht. Noch immer ist unvorstellbar, was wirklich passiert ist im Sommer. Diese Jahrhundertflut wird noch lange Spuren hinterlassen, insbesondere in den Seelen der Menschen. Gemeinsam war ich mit meinem Mann und meinen Eltern auf dem Weg zur „Kleinen Auszeit am 1. Advent“ für Laienhelfer*innen und Betroffene. Ich wusste nicht, was mich erwartet. Vor dem Parkhotel Elisabeth angekommen, packten wir das Arkkodeon, den mitgebrachten Weihnachtsstern und Kerzen aus. Im Hotel sind Flutopfer untergebracht. Erst auf dem zweiten Blick war zu sehen, dass auch das Parkhotel, nicht von der Flut verschont geblieben ist und doch bietet es die Möglichkeit der Unterbringung. Einen Hotelaufenthalt verbinde ich mit dem Gefühl von Urlaub. Doch hier in Bad Neuenahr ist dieses Gefühl sehr weit weg. Die Gäste haben teilweise alles verloren und leben auf kleinstem Raum über Wochen zusammen. Eine Kochmöglichkeit gibt es nicht.

Im Wintergarten angekommen, stand die Frage im Raum, wieviele Teilnehmer*innen wohl kommen würden. Diese Frage wurde schnell beantwortet. Ich blickte in 13 Augenpaare, die in angemessenem Abstand zueinander vor mir saßen und war froh, die Veranstaltung nicht abgesagt zu haben. Im Ahrtal herrscht eine Ausnahmesituation und für die Menschen sind Verbindlichkeiten wichtig. Hilfe wird noch lange gebraucht werden. Die kleine Auszeit mit weihnachtlichen Liedern von meinem Papa auf dem Arkkodeon gespielt bei gemütlichenKerzenschein, hat allen Teilnehmer*innen gut getan. Sie fühlten sich im Anschluss entspannter und werden die eine oder andere Übung aus dem Mentaltraining oder der positiven Psychologie mit nach Hause nehmen. Die Alterspanne der Teilnehmenden von 14-90 Jahre hat mich an meine ehrenamtliche Arbeit während der Flüchtlingskrise vor sieben Jahren erinnert. Wenn Zerstörung und Kriegsauswirkungen näher rücken, macht das sehr betroffen. Der Grad zwischen Mitleiden und Mitgefühl ist für mich schmal. Mit Achtsamkeit und Fokussierung bleibe ich im Mitgefühl. So kann ich Menschen unterstützen und bleibe dabei selbst gesund. 

Ich wünsche dir und deinen Lieben von Herzen eine wunderbare Vorweihnachtszeit mit einer kürzeren „ To-do“ Liste. Das ist leichter gesagt als getan und doch erinnere mich an einen Vorsatz eines Workshopteilnehmers von gestern. Der junge Mann sagte: „ Ich frage mich ab heute, was ich wirklich machen MUSS.“

 

Alles Liebe von deiner Susann

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Kommentare: 1
  • #1

    Patricia (Donnerstag, 02 Dezember 2021 13:47)

    Das hast du sehr gut beschrieben, Susanne. Danke dafür. Sehr schön auch, dass dein Vater dabei war und gleichzeitig die Verbindung mit deinen Inhalten. Ich glaube das ‚Ernstnehmen‘ der Betroffenen ist das Allerwichtigste und das kann auf unterschiedliche Weise geschehen. Ihr habt eine gefunden!� Herzliche Grüße!�

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